
Junge Jahre
Frühe Förderung
Ernst Stückelberg wird am 21. Februar 1831 als Sohn des Kaufmanns Emanuel Stickelberger und Susanna Stickelberger, geborene Berri, in eine Basler Patrizierfamilie hineingeboren. Nach dem frühen Tod des Vaters kümmert sich sein Onkel, der Architekt Melchior Berri, um die Ausbildung des künstlerisch begabten Kindes. Stückelberg besucht die Zeichenschule in Basel und lässt sich ab 18 Jahren vom Berner Maler Johann Friedrich Dietler in der Porträtkunst unterweisen. 1850 tritt er in die Akademie der Schönen Künste in Antwerpen ein, wo ihn der Historienmaler Gustav Wappers anleitet. Im 19. Jahrhundert gilt die Historie in der Hierarchie der Gattungen als Königsdisziplin; Bilder sind Bühnen und der Maler ein Regisseur, der es versteht, mythologische Themen und grosse Augenblicke aus Gesellschaft und Politik in lebendigen, manchmal dramatischen Szenen vor Augen zu führen. Stückelberg macht sich vertraut mit dem Helldunkel der Malerei von Peter Paul Rubens und Rembrandt van Rijn. Auf einer Reise nach Paris kopiert er 1852 auch Werke von Diego Velázquez oder Paolo Veronese. An der Akademie in München setzt er seine Studien fort bei Moritz von Schwind und Wilhelm von Kaulbach.
Des Malers Arkadien
Die vielfältigen Aufenthaltsorte schon während seiner Ausbildung machen deutlich: Ernst Stückelbergs Schule ist Europa und mit dem Kontinent auch die grossen Meister, die seiner Generation vorausgegangen sind. Was dem jungen Maler noch fehlt, ist die direkte Anschauung südlicher Landschaften und deren Bezug zur antiken Welt. Auf Empfehlung des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt bricht Stückelberg 1856 zu seiner ersten, dreijährigen Italienreise auf. Florenz und weitere Städte öffnen ihm die Augen für Architektur und Malerei der Renaissance. Vor allem aber erweisen sich die südlichen Berge und Küsten, das mediterrane Licht und die Lebensweise im wärmeren Klima als langfristig ergiebige Quelle für seine Kunst. Zahlreiche Porträts und Landschaftsstudien sind Versatzstücke für Werke, in denen er mit strengen Gattungsgrenzen spielerisch umzugehen lernt.
Wie schon in Antwerpen und München bewegt sich der aufstrebende Künstler in Italien in einem internationalen Kreis von Malerfreunden, unter ihnen die «Romkünstler» Anselm Feuerbach, Victor von Meyenburg, Arnold Böcklin oder Johann Burger. Von Rom aus durchwandert er die nahe und weitere Umgebung. Fasziniert von der Schlichtheit des ländlichen Lebens, skizziert er Menschen und Tiere in den Kulissen des bergigen Hinterlands. In Anticoli Corrado entdeckt er sein persönliches Arkadien. Hier lässt sich 1858 für einen ganzen Sommer nieder – das pittoreske Dorf nordöstlich von Rom wird sich über Jahre zu einer eigentlichen Malerkolonie entwickeln.

Prägende Jahre
Manifeste für eine neue Kunst
Nicht zuletzt dank Johann Jakob Imhof, dem Freund, Förderer und Präsidenten des Basler Kunstvereins, kann Stückelberg den Wettbewerb für die Ausgestaltung der Tellskapelle am Urnersee für sich entscheiden. Dass sich ein Vertreter aus dem protestantischen Basel künstlerisch ins Herz der Schweiz einschreibt, ist nicht selbstverständlich – und doch bezeichnend für einen Historismus, dessen patriotische Basis sich als «überkonfessionelle Zivilreligion» (Georg Kreis in bajour vom Mai 2023) durchsetzen kann. Eine durch und durch schweizerische Malerei soll es werden. Bemüht um ein möglichst glaubhaftes Lokalkolorit, zieht Stückelberg 1878 mit der ganzen Familie für mehrere Monate nach Bürglen (SZ). Hier porträtiert er zahlreiche Landsleute, denen Marie Stückelberg eigens historisierende Kostüme näht. Die 1883 eingeweihte Tellskapelle nimmt vier überlebensgrossen Fresken auf nach Friedrich Schillers schweizerischem Gründungsmythos des «Wilhelm Tell». Sie bringt dem Künstler nebst der Ehrendoktorwürde der Universität Zürich und einem Ehrenpokal des Schweizerischen Kunstvereins eine weit über die Schweizer Grenzen reichende Popularität. Denn die Tellskapelle wird zur wichtigsten Destination jeder «Grand Tour» der Schweiz – und prägt damit das Ursprungsbild der Nation bis weit ins 20. Jahrhundert.
Bilder für den Schweizer Gründungsmythos: zur Tellskapelle
Nicht zuletzt dank Johann Jakob Imhof, dem Freund, Förderer und Präsidenten des Basler Kunstvereins, kann Stückelberg den Wettbewerb für die Ausgestaltung der Tellskapelle am Urnersee für sich entscheiden. Dass sich ein Vertreter aus dem protestantischen Basel künstlerisch ins Herz der Schweiz einschreibt, ist nicht selbstverständlich – und doch bezeichnend für einen Historismus, dessen patriotische Basis sich als «überkonfessionelle Zivilreligion» (Georg Kreis in bajour vom Mai 2023) durchsetzen kann. Eine durch und durch schweizerische Malerei soll es werden. Bemüht um ein möglichst glaubhaftes Lokalkolorit, zieht Stückelberg 1878 mit der ganzen Familie für mehrere Monate nach Bürglen (SZ). Hier porträtiert er zahlreiche Landsleute, denen Marie Stückelberg eigens historisierende Kostüme näht. Die 1883 eingeweihte Tellskapelle nimmt vier überlebensgrossen Fresken auf nach Friedrich Schillers schweizerischem Gründungsmythos des «Wilhelm Tell». Sie bringt dem Künstler nebst der Ehrendoktorwürde der Universität Zürich und einem Ehrenpokal des Schweizerischen Kunstvereins eine weit über die Schweizer Grenzen reichende Popularität. Denn die Tellskapelle wird zur wichtigsten Destination jeder «Grand Tour» der Schweiz – und prägt damit das Ursprungsbild der Nation bis weit ins 20. Jahrhundert.

Reife Jahre
Eine Berufung an die Kunstakademien von Weimar hat Stückelberg 1871 abgelehnt – zu weit weg wäre ihm sein geliebtes Italien und zu aufwändig der Transfer der ganzen Familie. Er bleibt jedoch regelmässiger Teilnehmer und Besucher des Salons in Paris sowie mehrerer Weltausstellungen auch in Antwerpen oder Wien. In Begleitung seiner ältesten Tochter Marie begibt er sich 1888 auf einer Reise nach Italien noch einmal an die Sehnsuchtsorte seiner Jugend in den Sabinerbergen und frischt in Rom die Bekanntschaft mit alten Freunden auf. Der Tod seiner Mutter und etwas später seiner verehrten Schwester Susanna dämpft trotz zahlreichen Erfolgen seine Schaffenskraft. Von der Stadt Basel, die er auch als seinen «Tumulus» (Grabhügel) bezeichnet, wünsch er sich mehr Anerkennung. Nach der 1895 diagnostizierten Diabetes hält sich Stückelberg mehrmals an der Côte d’Azur auf, wo er an die inspirierende Weitsicht früher Eindrücke anknüpfen kann. Auf kleinen Täfelchen aus Buchenholz, seinen «Brettchen», widmet er sich auch in der Schweiz zunehmend der Pleinair-Malerei: Rasch hingeworfene Landschaftsstudien verändern den Duktus seines Pinsels und die Palette auch grossformatiger Bilder des späten Schaffens.
Ein spannender Fundus
Zu seinem 70. Geburtstag richtet der Basler Kunstverein Ernst Stückelberg eine grosse Ausstellung mit Festakt ein. Gesundheitlich bleibt der Maler allerdings angeschlagen. Er verstirbt in Basel am 14. September 1903 in seinem 73. Lebensjahr. Die Gedenkausstellung in der Kunsthalle seiner Heimatstadt 1904 kann nicht verhindern, dass mit der patriotisch und religiös geprägten Kunst seines Jahrhunderts auch Stückelbergs Nimbus verblasst. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts kommt ein neues Interesse auf an den Leistungen von Historismus und Bildniskunst seiner Zeit. Hundert Jahre nach seinem Tod widmete ihm das Kunstmuseum Basel 2003 eine Übersichtsausstellung mit Begleitkatalog.
Der Schweizer Nationalstaat war noch jung, als der Maler seine grössten Erfolge feierte, und im Zeitalter von Aufbruch und zunehmender Industrialisierung war ihm Malerei ein Mittel, traditionelle Werte in Erinnerung zu rufen und mit historischen Stoffen gesellschaftliche Ideale hochzuhalten. Es sind nicht zuletzt die Sehnsucht nach einem Arkadien und der idealisierende Blick, welche seine Kunst bis heute zum spannenden Fundus machen: Mit grosser Belesenheit und empathischer Wiedergabe von Menschen seiner Zeit transportiert Ernst Stückelberg Vorstellungen über soziale Rollen und die ihnen zugrunde liegenden, mythologischen Erzählungen.